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Verwirrende Kommunikationsdynamiken

  • Autorenbild: Impuls-Geberin
    Impuls-Geberin
  • 23. Okt.
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 27. Okt.

Es gibt Menschen, mit denen wir scheinbar nie ganz auf denselben Nenner kommen. Man spricht, erklärt, bemüht sich, will Klarheit schaffen – doch beim nächsten Gespräch ist das Gesagte plötzlich anders gemeint, umgedeutet oder gar vergessen. Irritation entsteht. Zweifel an sich selbst kommt auf. Frust. Und irgendwann auch Erschöpfung.


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Aus hypnosystemischer Sicht liegt hier ein faszinierendes Phänomen zugrunde: Wir konstruieren unsere Erleben – je nach aktueller Aufmerksamkeitsfokussierung und aktivem Erlebnisnetzwerk – fortwährend neu. Unwillkürlich. Wenn unser Gegenüber das gestrige Gespräch heute völlig anders erinnert, dann, weil ihr oder sein System es anders konstruiert – ein anderes Erlebnisnetzwerk aktiv ist, eine andere "Seite" das Steuer übernommen hat.


Je nach Kontext werden in uns unterschiedliche neuronale Netzwerke aktiviert – und damit auch unterschiedliche „innere Zuhörer*innen“. Doch es wird noch komplexer: Diese Netzwerke greifen unwillkürlich auf alte Erfahrungen zurück und vergleichen die aktuelle Situation mit früheren Erlebnissen. Wenn jemand oft kritisiert oder übergangen wurde, kann eine sachliche Bemerkung plötzlich alte Verletzungen anstoßen. Das innere System rechnet blitzschnell: „So ähnlich war das damals – und das war gefährlich!“


In diesem Moment hört die Person nicht mehr wertfrei, was wir mitteilen möchten, sondern das, was ihr inneres Erleben daraus macht. Hier zeigt sich ein entscheidender Unterschied: Manche Menschen hören zu, um zu verstehen – sie sind offen für neue Bedeutungen. Andere hören zu, um zu antworten – oder besser gesagt: um ihre eigene innere Geschichte fortzuschreiben. Sie reagieren nicht auf das Gegenüber, sondern auf alte Muster, die gerade aktiv sind.


Die Frage „Was wurde wirklich gesagt?“ führt daher aus hypnosystemischer Sicht in die Irre. Sinnvoller ist:„Wie konstruiert dieser Mensch – bzw. wie konstruieren die verschiedenen Seiten in ihm – die Vergangenheit dieses Gesprächs? Welche Bedürfnisse, Ängste und Hochrechnungen wirken im Hintergrund?“ Aus dieser Perspektive wird verständlich, warum in Diskussionen nicht alle wirklich zuhören können. Manche sind in einer alten inneren Trance gefangen. Das aktiviert Rollen und Muster – etwa jene des Opfer-, Retter- oder Täter-Anteils, wie sie im Drama-Dreieck nach Stephen Karpman beschrieben werden. Wenn diese Rollen miteinander in Resonanz gehen, kann ein Gespräch leicht in eine emotionale Abwärtsspirale geraten – und echtes Verstehen bleibt auf der Strecke.


In solchen irritierenden Situationen erleben wir uns schlussendlich in einer "Konflikt-Trance": Unwillkürlich und oft unbewusst verändert sich unser inneres Erleben. Gefühlt werden wir zu jemand anderem als in unseren optimalen Kompetenzzeiten. Automatische Kampf-, Flucht- oder Erstarrungsreflexe können das Steuer übernehmen.


Was tun, wenn du mit Menschen zusammenarbeitest, die dich in verwirrende Dynamiken einladen?


Du kannst sie nicht meiden, nicht ignorieren - und Abwertung würde die Dynamik nur verstärken. Du möchtest "funktionieren" und brauchst Handlungsfähigkeit – trotz aller Irritation. Der hypnosystemische Ansatz bietet hier konkrete Handlungsmöglichkeiten:


1. Von der Konflikt-Trance in die Kompetenzposition wechseln

  • Erkenne deine eigenen unwillkürlichen Muster: Rutschst du in die Opfer-, Täter*innen- oder Retter*innen-Rolle? In den Kampfmodus? In Erstarrung? Wofür macht das Sinn?

  • Baue bewusst eine optimale innere Position auf, bevor du in schwierige Gespräche gehst.

  • Frage dich: "Wer will ich in diesem Moment sein bzw. (hypnosystemisch gedacht) welche Seite von mir darf sich in diesem Moment zeigen?"

  • Werde neugierig statt kämpferisch: "Wie konstruiert mein Gegenüber gerade? Welche Hochrechnungen macht sein System?"

  • Unterbrich das Muster und nimmt dir einen Moment, um bei deinen Kompetenzen anzudocken – nicht bei deiner Irritation."


2. Radikale Klarheit und Grenzen setzen

  • Sprich sachlich, präzise im Ausdruck, strukturiert, aus deiner kompetenten Position heraus.

  • Halte wichtige Punkte schriftlich fest - als gemeinsamer Bezugspunkt für unterschiedliche Konstruktionen von Realität.

  • Sag, was du sagen willst – klar und ohne dich ständig wiederholen zu müssen.


3. Aus Drama-Dynamiken aussteigen

  • Wenn dein Gegenüber sich als Opfer konstruiert: Biete dich nicht als Retter*in oder Täter*in an.

  • Was hilft: Würdigen ohne Verstärken: "Ich höre, dass du die Situation als ungerecht erlebst."

  • Fokus auf Selbstwirksamkeit: "Was könntest du selbst beeinflussen?" statt "Was müssen andere ändern?"

  • Du bist nicht zuständig, die Opfer-Trance des anderen aufzulösen.


4. Meta-Kommunikation ermöglichen

  • Benenne, was geschieht: "Ich habe den Eindruck, wir konstruieren gerade zwei völlig unterschiedliche Realitäten."

  • Erkenne an, dass beide Konstruktionen ihre Berechtigung haben - ohne die eigene aufzugeben.


5. Wertschätzung bei gleichzeitiger Selbstbehauptung

  • Die Person gegenüber hat auch Bedürfnisse und Anliegen – ihr System macht gerade Hochrechnungen aus ihrer Geschichte.

  • Du kannst mit Achtung auf ihre Konstruktion reagieren, ohne deine eigene Position aufzugeben.

  • "Ich höre, dass dir XY wichtig erscheint - auch wenn ich es anders sehe. Mir ist YZ wichtig. Wie können wir beides berücksichtigen?"


6. Kompetenzorientierung statt Problemfixierung

  • Überlege, in welchen Situationen die Zusammenarbeit ansatzweise gelingt.

  • Bei chronisch sich benachteiligt fühlenden Menschen kannst du sie konkret fragen: "Gab es Momente, in denen du dich fair behandelt gefühlt hast? Wie hast du das geschafft, dass es da anders war?"


7. Psychische Selbstfürsorge

  • Achte auf deine Energie. Nimm Abstand, wann immer du kannst.

  • Hol dir Rückendeckung: im Team, bei der Leitung, im Coaching. Nutze hierfür Ich-Botschaften.

  • Aktiviere bewusst andere, nährende Erlebnisnetzwerke außerhalb der Konfliktsituationen.


Vielleicht magst du dir abschließend ein paar Minuten Zeit nehmen und dich fragen:

  • Mit wem erlebe ich wiederkehrende Missverständnisse?

  • Was versuche ich dort immer wieder „geradezurücken“?

  • In welcher Rolle erlebe ich mich?

  • Was würde sich verändern, wenn ich bewusst mit meinen Kompetenzerleben in Verbindung bleibe?


Manchmal beginnt innerer Frieden nicht mit einem gemeinsamen Verständnis – sondern mit der Entscheidung, nicht mehr gegen das "Unverständnis" anderer zu kämpfen. Sei dir immer bewusst, dass du nicht dafür zuständig bist, die Kommunikation für zwei oder mehrere Personen zu tragen. Du kannst dich darin üben, deine eigene Trance zu erkennen, aus Drama-Dynamiken auszusteigen und von der Position deiner Kompetenzen aus zu agieren – statt aus der Position deiner Verzweiflung oder Irritation.

 

Weiterführende Literatur:

Karpman, Stephen (1968): Fairy tales and script drama analysis. Transactional Analysis Bulletin, 7(26), S. 39-43.

Schmidt, Gunther (2018): Einführung in die hypnosystemische Therapie und Beratung. Heidelberg: Carl-Auer-Verlag.

Schmidt, Gunther (2019): Liebesaffären zwischen Problem und Lösung – hypnosystemische Konzepte für schwierige Kontexte. Heidelberg: Carl-Auer-Verlag.

Schmidt, Gunther (2020): Hypnosystemische Konzepte für Konfliktberatung und Mediation. In: pm perspektive mediation, Band 17, November 2020, Heft 4.

 
 
 

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